Andere Mitmenschen, sofort!

Manchmal wünsche ich mir wirklich andere Mitmenschen. Zum Beispiel dann, wenn ich trotz Erkältung, Halsschmerzen und wenig Schlaf beschlossen habe, doch aus dem Bett zu klettern und in die Arbeit zu fahren und dann in der S-Bahn auf seltsame Menschen treffe. Wie heute morgen. Nur durch den Mittelgang von mir getrennt saß eine unscheinbar wirkende Frau, die mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre. Bis sie das Handy in die Hand nahm und ich folgendem Gespräch lauschen durfte:

„Ja, guten Morgen. Ich bräuchte nächste Woche eine Magenspiegelung.“
Pause, lautes Sprechen am anderen Ende der Leitung.
„ Ja, das ist mir schon klar. Kein Problem.“
Wieder lautes Sprechen am anderen Ende.
„Nein. Ja. Ich komme zu Fuß oder mit dem Bus.“
Person am anderen Ende schreit wieder in den Hörer (wenn ich mir Mühe gegeben hätte, hätte ich wahrscheinlich die Worte des Gesprächsteilnehmers auch noch gehört).
„Ja, Psychopharmaka.“
Pause.
„Aber die muss ich erst nach dem Frühstück nehmen. Äh, wie lange darf ich denn abends noch etwas? – Okay, gut, habe ich mir schon gedacht.“
Zuhören, zuhören.
„Abends nehme ich dann auch noch etwas zum Einschlafen.“ Zuhören. „Ja, gut, mache ich.“

Ich versuche verzweifelt den Absatz, den ich schon seit ungefähr 5 Minuten vor Augen, zu Ende zu lesen. Vergeblich.

Längere Pause. Vielleicht das Ende des Telefonats? Nein!

„Ja und dann brauche ich noch einen Ultraschall. Schaffen wir das auch nächste Woche oder soll ich noch einmal wiederkommen?“

Pause, Pause, Pause.

„Ja, gut, dann lasse ich mir nächste Woche einen Termin geben. Bis dann“
Aufgelegt.

Ich atme ganz leise durch. Und frage mich, ob die ganze Welt immer verrückter wird…

9 Responses to Andere Mitmenschen, sofort!

  1. Simon sagt:

    Das ist wirklich erschreckend, oder? Die Leute stehen immer mehr unter Druck, haben immer größere Existenzängste..und einige (viele?) bleiben augenscheinlich mit der Zeit auf der Strecke oder ertragen den Alltag nur noch mit Medikamenten.
    Auch ein Thema was in unserer Gesellschaft nur am Rande behandelt wird…..

  2. parkverbot sagt:

    Die Leute stehen so unter Zeitdruck, dass sie Ihre Arztermine mit dem Handy in der S-Bahn ausmachen und dabei intimste Geheimnisse ihrer Umwelt offenbahren? Glaub ich nicht. Ein Mangel an Schamgefühl oder Hirn dürfte eher der Grund für solche Aktionen sein. Nix für ungut… 🙂

  3. Simon sagt:

    Gut…von der Warte aus hatte ich das nicht gesehen..ich war mehr auf die Psychopharmaka fixiert..
    In dem Fall habt Ihr recht..ein gewisses Gefühl dafür was man seinen Mitmenschen zumuten kann/darf sollte schon da sein :-)….vielleicht liegt`s ja an den vorgenannten medizinischen Muntermachern 😉

  4. jantarblog sagt:

    Ja, ich fand es wirklich nicht seltsam, das sie Medikamente nehmen muss (ist ja besser, als wenn sie die Krankheit ignoriert), sondern dass sie diesen Umstand lauthals der ganzen S-Bahn mitteilt. Beziehungsweise richtig krass fand ich den ersten Satz mit der Magenspielung. Das geht ja nun niemanden etwas an…

  5. Simon sagt:

    Ich glaube wer regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist kann viele solcher Geschichten erzählen 😉
    Eine Mitarbeiterin aus unserem Büro erzählte eine ganze Zeit lang regelmäßig von einen Kerl im Blaumann der immer an der selben Station wie sie einstieg. Laut Ihrer Erzählung recht ungepflegt, fettige Haare und Bart, roch wohl etwas unangenehm: Er wartete bis sie sich einen Platz ausgesucht hatte und hat sich dann zu Ihr gesetzt oder gestellt. Dann hat er sie die 15 Minuten Fahrt durchgehend mit den Augen fixiert und sich dabei wohl unentwegt über den Bart am Kinn gestrichen. Das ging soweit das die Kollegein eine zeitlang eine 3/4 Stunde früher im Büro war, nur um dem Typen zu entgehen…. 😦

  6. Suse sagt:

    Wenn ich öffentlich fahre, treffe ich auch nur komische Menschen. Neulich saß ein Typ neben mir, der sich die ganze Fahrt über mit seiner Frau/Freundin am Handy gezofft hat!

  7. smirne sagt:

    Wer mit den Öffentlichen fährt, der hat was über unsere Mitmenschen zu erzählen. Ein kleiner Auszug aus dieser Woche:
    Ein Jugendlicher, der scheinbar dem Lokführer in der S-Bahn Abfahrtsbefehler geben wollte.
    Eine ältere Frau, die ständig ein Lied vor sich hinträllerte.
    Ein Jugendlicher, der lauthals per Handy sich nach dem Reparaturzustands seines Rollers erkundigte und anschließend seine Freunde fragen musste, was er überhaupt gesagt hat.
    Eine Mitarbeiterin der DB, die eine Richtlinie gelesen hat mit der Überschrift „Mitarbeiter überwachen“. Ungelogen!

    Das kann man noch ewig fortführen.

  8. jantarblog sagt:

    @Simon: Okay, Deine Kollegin ist noch schlechter dran als ich 😉

    @Suse: Ja, Streit mithören ist auch was ganz Tolles. Durfte ich auch schon live erleben… 😦

    @smirne: „Mitarbeiter überwachen“ gefällt mir am besten. Hast Du zufällig ein Foto gemacht? 😉

  9. […] durch einen Beitrag im Jantarblog über einen mitteilsam telefonierenden Mitmenschen in der S-Bahn dachte ich mir, ich könnte […]

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